Das – (ausgesprochen: Dash oder Däsch) sind die beiden Uferseiten von der Oberbaumbrücke bis zur Stralauer Spitze in den Bezirken Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow. Dort starte im Sommer 2023 unsere mehrteilige Theater-Expedition mit Geschichten, die von vergangenen und gegenwärtigen, lokalen und globalen Mythen erzählen.
Die Uferstreifen stehen wie vermutlich kein anderer Ort in Berlin für das wechselseitige Verhältnis von Arbeit und Vergnügen in der Stadt. An den Promenaden reihen sich alte Industriegelände aneinander, die im Zuge der Industrialisierung dort errichtet worden sind. Doch auch die globalisierte Weltwirtschaft von heute hinterlässt in dieser Gegend ihre Spuren: Zalando, Mediaspree, Universal und Werbeagenturen haben sich dort angesiedelt. Auch das Vergnügen hat hier schon lange seinen festen Platz. Schon früher war es beliebtes Ausflugsziel der Arbeiter:innen. Heute finden sich dort unzählige Bars, Clubs und Gastronomie, die von dem Freiraum zwischen den Industrieanlagen profitieren
I
7. Jahrhundert bis 1990
Waren Sie schon mal im Friedrichshain und hatten das Gefühl, zu schwimmen? Keine Sorge, damit sind Sie nicht allein: Das macht die Gegend. Dort war früher nämlich alles Sumpf. Deshalb blieb die Gegend auch lange Zeit unbewohnt.
Im 7. Jahrhundert hat sich dann der slawische Stamm der Sprewanen an den Uferseiten der Spree, auch am heutigen Treptower Ufer bis runter nach Köpenick angesiedelt. Sie errichteten kleine Siedlungen, waren aber nach einigen Jahrhunderten auch schon wieder verschwunden. Es dauerte bis ins 18. Jahrhundert, bis sich wieder Menschen in der Gegend ansiedelten. 1719 ließ der damalige Markgraf einen Knüppeldamm errichten, damit sämtliches Fuhrwerk schnell und bequem vom Stadtpalais Unter den Linden zur Landpartie in Treptow gelangen konnte. Dieser kleine Steg wuchs in den kommenden Jahrhunderten zum Markgrafendamm heran. So begann die Geschichte der Parzelle am Markgrafendamm 24c, wie so vieles in diesem Areal, mit der Industrialisierung.
Das Stück Land wurde 1900 an die Schlesische Bahn verkauft. Das war jene Bahngesellschaft, die seit 1894 die Strecke Berlin -Wroclaw betrieb. Deren Hauptwerkstatt erstreckte sich über ein großes Gelände bis zur Warschauer Straße. Die Parzelle direkt nebenan war das damalige Schaltwerk. Auf diesem Grundstück wurden ab 1900 erste Klinkergebäude als Wohnmöglichkeit für Angestellte der Bahn gebaut. Jedes der Dienstgebäude war zweigeschossig und verfügte über Wohneinheiten für vier Mietparteien mit eigener Küche, Stube, zwei Zimmern und zwei Badezimmern auf jeder Etage. Aus dieser Zeit stammen auch noch die Keller unter dem Gebäude. Schon zu dieser Zeit war die große Gartenanlage rund um das Gebäude etwas Besonderes. Ranghohe Beamte der Bahn konnten dieses kleine Idyll mitten in der boomenden Industrieanlage mit ihren Familien genießen. Der Rest bewohnte die vergleichsweise etwas dichter besiedelten Mietskasernen, die hier ringsherum entstanden.
1920 wurde die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft Eigentümerin des Grundstücks. In den folgenden Jahren kamen dann eine Kantine und ein Pförtnerhäuschen dazu.
Random Fact: Am 25. Januar 1933 kam es zu einem Brand an einer der hier aufgestellten Holzbuden, bei dem der Fußboden und Teile der Seitenwände abbrannten. Spooky, oder?
Die Staatsbahn in der DDR hieß … ebenfalls Deutsche Reichsbahn und war damit Nachfolge-Eigentümerin des Grundstücks. Was heute nach einer Utopie klingt nicht, war damals garantiert: Es gab Kita- und Krippenplätze für ALLE!
1968 bestätigte das Bezirksbauamt die Errichtung eines Kindergartens für die Angestellten der Deutschen Reichsbahn unter der Prämisse, dass die bestehenden Wohnhäuser mit einbezogen wurden. Deshalb wurden die Häuser links und rechts umgebaut und durch einen langen Schlauch miteinander verbunden.
1969 waren die Umbauten fertig und 108 Kindergartenplätze standen als Eigentum des Volkes zur Verfügung.
Wenn man sich alte Karten anschaut, sieht man hier, dass der hintere Teil des Gartens früher eine Kinderkrippe war und im Garte befanden sich überall Sandkästen zum Spielen. Wenn Sie sich hier noch ein bisschen umschauen, finden Sie vielleicht noch mehr Relikte aus jener Zeit, als kleine Kinder den Garten bevölkerten.
Wer schon einmal im Inneren des Gebäudes war, der kann nur schwer erahnen, wie es damals aussah. Dort, wo heute die “Lobby” ist, befand sich früher ein großer Eingangsbereich, alle anderen Räume waren auf die verschiedenen Kindergartengruppen aufgeteilt.
1990er bis heute
Nach der Wende ging die Deutsche Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG über und ein altes Vorhaben (Stichwort: Autobahn-Ring) wurde wieder auf die Berliner Agenda gesetzt.
Zu jener Zeit schloss auch der Kindergarten. Das Grundstück wollte nun keiner mehr haben, denn es befand sich mitten auf dem Gebiet, das für den Ausbau der A100 platt gemacht werden soll (dieser Satz steht jetzt ganz bewusst nicht im Präteritum).
Besitzer des Grundstücks wurde nun das Bezirksamt und über die Jahre wurde das Gelände - zumindest nicht offiziell - genutzt. Aber sind wir mal ganz ehrlich: Ein leerstehendes Haus in Mauernähe, Friedrichshain in den 1990er Jahren, denkt jemand wirklich, hier war tote Hose? Erinnern Sie sich noch an den Kreuzgarten?
Mitte der Nuller Jahre hatte dann eine Gruppe von ca. 20 jungen Leuten eine Idee und war schon eine Weile auf der Suche nach dem passenden Ort dafür. Die Gruppe stammte aus der Hausbesetzer- und der Clubszene und wollte einen Ort zwischen linker Szene und Clubkutlur schaffen. Nicht als Ehrenamtsprojekt, sondern mit dem Ziel, dass alle, die dort arbeiten, auch dafür bezahlt werden. Ein Ort für qualitativ hochwertigen Techno, für House und andere subkulturelle Nutzungen.
Nach mehreren Anläufen stießen sie auf dieses Grundstück, das damals mehr als verwunschen war. Und trotz der für einen Club ungewöhnlichen niedrigen Decken und kleinen Räume verliebte sich die Gruppe, nicht zuletzt wegen des Gartens, in das Gelände.
Im Winter 2008/2009 gingen sie mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg in Mietverhandlungen. Tricky Disco - Verein zur Förderung von Club-Kultur, Kunst und kultureller Bildung e.V. wurde so zum Hauptmieter des Gebäudes.
Nach und wurde das stark verfallene Haus renoviert und umgebaut: Die Fenster fehlten, das Dach war kaputt, das Haus bemalt und besprayet.
Heizungen mussten eingebaut werden, ebenso wie sanitäre Einrichtungen und sämtliche Stromleitungen. All das hat die Gruppe selbst gemacht.
Eine besondere Herausforderung war die “Kultivierung” des Gartens: Während des Leerstands hatten dort Brombeersträucher, Hopfen und Essigbäume gewuchert. Nach und nach drängten die neuen Mieter diesen Wildwuchs zurück, sodass auch andere Pflanzen Platz hatten, sich zu entfalten. Durch die Abmontage der Hochspannungsmasten über dem Gebäude konnten zudem einige Bäume erst richtig wachsen.
Der Dachverein Tricky Disco e.V. mietet das Gelände mit allem, was drauf steht und liegt. Deshalb haben sie freie Hand, was bauliche Veränderungen anbelangt, müssen aber auch alle Reparaturen selbst bewerkstelligen.
Das ://about blank eröffnete im April 2010 und ist im größten Teil des Geländes untergebracht, weitere Mieter sind z.B. der “Zuckerzauber”, eine Bar mit Konzertbühne am Nebeneingang, die Siebdruckwerkstatt „Zentrifuga“, die Raumerweiterungshalle, mehrere Ateliers-, Proberäume und Tonstudios, die von Gruppen gemietet werden.
Dieses “Mini-Blank” wurde von der Künstlerin Hanna Niehaus geschaffen. Sie ist Teil des Kollektivsbetriebs, der das blank bewirtschaftet. In der Zeit, als die Clubs wegen der Pandemie geschlossen waren, begann sie damit, akribisch jenen Ort zu reproduzieren, der auf dem todgeweihten Boden erst richtig wachsen konnte.
Was man auch über die Planungen zur A100 denken mag: Für den Club sind sie (bisher!) ein Glücksfall gewesen. Ein Grundstück, weitgehend abgeschnitten vom Verwertungsdruck, ein Kleinod als kleine Abzweigung von Media Spree, wo Call Center, Agenturen und Start-Ups das Stadtbild prägen. Dort malochen wir heute, nicht selten in mehreren Jobs und erfreuen uns, dass uns am Wochenende oder auch unter der Woche hier Möglichkeiten zur Zerstreuung bereitstehen.
Wissenswertes
II
III: about a Borderline
Am Flutgraben 3
- 1925: Die Allgemeine Berliner Omnbibus-Actien-Gesellschaft (ABOAG) erwirbt das Gelände.
- 1928: Fertigstellung des Gebäudes als Omnibus-Werkstatt
- nach 1945: BVG-Verwaltung in Ost-Berlin (ab 1969 VEB Kombinat
- Berliner Verkerhsbetriebe)
- 1993: Die BVG versteigert das Gebäude an die ehemalige VEB-Leitung.
- ab 1995: Nutzung für kulturelle und künstleriche Zweck.
1997: Gründung der Kunstfabrik am Flutgraben (heute: Flutgraben e.V.)
auf dem Grenzstreifen
Das Werkstattgebäude am Flutgraben beherbergte zu DDR-Zeiten die Ostberliner Verkehrsbetriebe. In dem Grenzbetrieb befand sich zudem eine volkseigene Werkstatt für Omnibusse und LKWs, die VEB OLW. Zahlreiche Arbeiter:innen gingen zu Mauerzeiten hier ihrer Arbeit nach – unter ständiger Beobachtung durch den Staat.
Seit 1920 markierte der Flutgraben die Grenze zwischen Kreuzberg und Treptow. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verlief hier die Systemgrenze zwischen Ost und West. In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 wird die Sektorengrenze von der DDR-Regierung abgeriegelt.
Seit dem Mauerbau war das Betriebsgelände immer wieder Ausgangspunkt von Fluchtversuchen. Insgesamt entkamen mehr als 30 Menschen durch den Flutgraben nach West-Berlin, die meisten in den ersten Tagen, Wochen und Monaten nach dem Mauerbau. Vom Betriebsgelände aus gab es mindestens 20 Fluchtaktionen.
Jede Flucht aus dem Fabrikgebäude am Flutgraben hatte Maßnahmen zur Folge, die darauf zielten, die “Grenzwand“ des Gebäudes undurchdringlicher zu machen und die Betriebsangehörigen noch umfassender zu überwachen. Auf dem Dach des Gebäudes waren Grenzsoldaten postiert.
Wissenswertes
1896 fand im heutigen Treptower Park die Berliner Gewerbeausstellung statt, mit der die Leistungen der deutschen Wirtschaft und des Deutschen Reiches gewürdigt werden sollten. Für die Ausstellung wurden Straßen neu angelegt und der öffentliche Nahverkehr nach Treptow ausgebaut. In einer Kolonialausstellung innerhalb der Gewerbeausstellung sollten zudem die Vorteile des Kolonialismus propagiert und Unternehmer:innen für Investitionen in die Kolonien gewonnen werden. Dazu wurden ostafrikanische Dörfer nachgebaut und mehr als 100 Menschen aus den ostafrikanischen Kolonien nach Berlin gebracht, um sie dort den Besucher:innen vorzuführen.